Deep Sky visuell: Hicksongruppen 61 und 68
Liebe Deep Sky Freunde,
selten folgen hierzulande drei oder mehr perfekt klare Tage und Nächte aufeinander. Vorgestern Nacht war die dritte einer solchen Serie, die auch weiterhin anhalten soll. Und weil wir glücklicherweise auch noch Neumond haben und die Frühlingsnächte kalt und dunkel sind, ist das die perfekte Zeit für Deep Sky Beobachtungen.
Ein paar wichtige Daten&Fakten vorab:
Teleskop: 14,5″, f/5.2 GND ICS Dobson
Okulare: 31mm Televue Nagler, 10mm Televue Ethos
Ort: Denkendorf (Zandt) / Oberbayern, im heimischen Garten
Datum/Uhrzeit: 24.03.2020, 22:00-00:00 Uhr MEZ
SQM-L: 21,20 mag/arcsec² (23:30 Uhr MEZ)
Seeing: II-III
Transparenz: klar
Vis. Grenzgröße: max. 6,0mag
Temperatur: -2° C
Die Frühlingszeit ist eine gute Zeit für Galaxien – eine große Menge, die auch bereits mit kleineren oder auch mittleren Instrumenten (8″ Zoll aufwärts) gut sichtbar ist, stehen im Bereich Löwe, Jungfrau und Haar der Berenike hoch im Süden und auch Paradebeispiele wie die schöne große Whirlpool-Galaxie M51 erreichen maximale Höhen bis quasi in den Zenit.
Für diese Nacht habe ich mir aber zwei besondere, etwas anspruchsvollere Ziele gesteckt: Die zwei Hickson-Galaxiengruppen HCG61 im Haar der Berenike (Coma Berenices) und HCG68 in den Jagdhunden (Canes Venatici).
Hickson-Galaxiengruppen
HCG steht für „Hickson Compact Group“ und bezeichnet einen Katalog, der 100 kleinere, zumeist recht eng zusammenstehende Gruppen von mindestens 4 Komponenten (Galaxien) listet. Die Herausforderung bei der visuellen Beobachtung besteht nicht nur darin, die oft sehr lichtschwachen Objekte (oft weit über 12mag) überhaupt zu finden oder zu erkennen, sondern manchmal auch, die einzelnen, sehr eng angeordneten Objekte zu trennen oder sogar deren Form/Orientierung wahrzunehmen. Eine weitere Herausforderung ist, dass die Komponenten teils Helligkeitsunterschiede von über 3mag aufweisen und schwächere Komponenten einer Gruppe daher bereits am leicht lichtverschmutzten Himmel völlig untergehen können.
Eine gedruckte Ausgabe des Hickson-Katalogs konnte ich mir bislang leider noch nicht zulegen, da offenbar schwer zu bekommen. Es gibt jedoch gute Links und online PDFs, die ich sehr empfehlen kann:
https://www.deepsky-visuell.de/Projekte/HCG_Start.htm
https://www.reinervogel.net/pdf/Hickson.pdf
Aufsuchen von lichtschwachen Objekten
Mit klassischem Dobson ohne automatisches GoTo gehe ich beim Aufsuchen solcher Objekte, die nicht immer in unmittelbarer Nähe eines mit bloßem Auge sichtbaren Sterns stehen, immer nach beliebter Starhopping-Methode vor. Alles was man dafür braucht, ist eine gut lesbare Sternkarte und ein dimmbares, diffuses Rotlicht. Optimalerweise hat man seine Zielobjekte für diese Nacht schon vorher ausgewählt und sich entsprechendes Kartenmaterial sowie Seitennummern etc. zurechtgelegt, noch bevor man draußen ans Teleskop tritt. Wenn man so wie ich auf optische Sucher verzichtet, um Gewicht am Teleskop einzusparen und meist nur einen superleichten Leuchtpunktsucher – ich verwende einen Televue „Starbeam“ – ohne optische Vergrößerung verwendet, sollte man zunächst ein möglichst weitwinkliges Okular wählen, das quasi die Aufgabe des optischen „Suchers“ übernimmt. Ich greife hier immer gern erstmal 31mm Televue Nagler, mit dem ich laut Eyepice Calculator etwa 1,3° reales Gesichtsfeld bekomme. Das entspricht ungefähr dem 2fachen Vollmonddurchmesser.
Siehe auch Link: https://televue.com/engine/TV3b_page.asp?id=212&plain=TRUE).
In diesem speziellen Fall habe ich aber zusätzlich doch noch einen kleinen optischen 6×30 Sucher an meinen freien Sucherschuh geklemmt. Der wiegt nur sehr wenig und bringt, im Gegensatz zum größeren 8×50 Sucher das Teleskop in Schräglage nicht so schnell aus dem Gleichgewicht, wenn gleichzeitig noch das schwere 2″ 31mm Nagler Okular im Okularauszug steckt.
Mit dieser Konfiguration bin ich also für jede, auch anspruchsvollere Suchaktion in mir unbekannten „Weiten des Weltalls“ bestens gerüstet!
HCG61 – ab in die „Kiste“
HCG61 habe ich diese Nacht als erstes Ziel ausgewählt, da etwas westlicher liegend als HCG68. Im dicken Deep Sky Beobachteratlas (Karte 31) von Gerhard Stropek findet man eine sehr hilfreiche, in ausreichend großem Maßstab gedruckte Aufsuchkarte für die Vielzahl an Galaxien in dieser Gegend. Und so hangelte ich mich von einer Sternformation über die nächste bis ans Ziel. Guter Ausgangspunkt kann der oberste Stern einer „Kette“ innerhalb des mit bloßem Auge sichtbaren Sternhaufens im Coma Berenices sein.
Wer beim Starhopping am Newton Probleme aufgrund der kopfstehenden Abbildung bekommt, der kann zwischenzeitlich auch mal den Atlas umdrehen, so wie ich das manchmal machen muss (in der Dunkelheit fällt das gewöhnlich eh keinem auf… ;-).
Am Ziel angekommen, waren auf den ersten Blick bereits alle 4 Objekte der Galaxiengruppe erkennbar. Das war leichter als gedacht!
Übersicht der Komponenten von HCG61:
Komponente „a“ – NGC4169 (12,2 mag), Entfernung ca. 169 Mio. Lichtjahre
Komponente „b“ – NGC4173 (12,7 mag), Entfernung ca. 50 Mio. Lichtjahre
Komponente „c“ – NGC4175 (13,4 mag), Entfernung ca. 179 Mio. Lichtjahre
Komponente „d“ – NGC4174 (13,5 mag), Entfernung ca. 180 Mio. Lichtjahre
Link: https://www.deepsky-visuell.de/Projekte/HCG34_66.htm#Hickson_61
Nun folgt bei mir immer eine etwas längere, ausgiebige Phase der Beobachtung. Wie eine Kamera muss das Auge erstmal in Ruhe eine Zeit lang „Photonen sammeln“, um sich wörtlich ein genaueres Bild der Lage zu machen: Wieviele Objekte sind erkennbar? Indirekt oder direkt sichbar? Wie verhalten sich die Helligkeiten zueinander? Lässt sich eine besondere Form bzw. Orientierung bei den Galaxien erkennen?
Gerade die Klärung der letzten Frage lässt bei dieser Hickson-Gruppe leicht verstehen, weshalb man sie auch die „Kiste“ (engl. „the Box“) nennt. Die vier Komponenten bilden durch ihre Anordnung nicht nur ein nahezu perfektes Rechteck, sondern zeichnen dieses auch noch durch ihre längliche Form und teils parallele Orientierung gut nach.
Anders als die Helligkeitsangaben in der Übersicht oben vermuten lassen, erschien mir die Komponente „b“ als mit Abstand schwächstes und schwierigstes Objekt in der Gruppe, was sicherlich daran liegt, dass diese Galaxie ausgedehnter ist und mehr Licht über ihre diffuse Fläche verliert.
Skizzieren am Teleskop – Visuellen Eindruck dokumentieren
Sobald man glaubt, die wesentlichsten Merkmale und Details erkannt zu haben, kann man sich die Zeit nehmen, um im nächsten Schritt den visuellen Eindruck durch eine [b]Skizze[/b] zu dokumentieren. Ich verwende dafür am Teleskop gerne ein Klemmbrett mit weißem A4 Papier und möglichst weichem Bleistift (5B-8B). Um beim Skizzieren etwas zu sehen, ist eine Kopflampe oder klemmbare, diffus leuchtende Lampe mit flexiblem „Hals“ sehr praktisch. Man sollte nur darauf achten, die Lampe so schwach wie möglich einzustellen, da bereits minimal zu helles Licht sofort die Augen blendet und sich wiederum kontraproduktiv auf die Beobachtung am Teleskop auswirkt.
Nach einer guten halben Stunde Beobachtungszeit hatte ich eine grobe Skizze erstellt. Anschließend ist es wichtig, diese Skizze innerhalb weniger Stunden – solange die Eindrücke noch frisch (!) sind – in eine Reinzeichnung zu übertragen. Schließlich würde ich es allein schon aus zeitlichen Gründen nicht empfehlen, sich am Teleskop stehend mit irgendwo aufgelegtem Klemmbrett künstlerisch zu verausgaben. Insbesondere weiche Verläufe, unterschiedliche Intensitäten/Helligkeiten der Sterne und Nebel zu zeichnen, mittels Invertierung weiße Sterne auf dunklen Hintergrund zu bekommen, fällt daheim am Schreibtisch oder auch digital in Photoshop deutlich einfacher. Wichtig ist eben, während der Beobachtung am Teleskop möglichst viele Details zu skizzieren und notfalls auch nur zu notieren wie z.B. „Galaxie oval, gleichmäßig diffuse Scheibe mit stellarem Kern“. Man kann auch klar definierbare Helligkeitsbereiche/Zonen in Nebeln einkreisen oder schraffieren, Helligkeiten von Sternen bestimmten Zahlen zuordnen usw. So entwickelt sicherlich jeder Zeichner seine eigene Techniken und Vorgehensweisen.
Und so sieht schließlich das zeichnerische Ergebnis meiner Beobachtung von HCG61 in dieser Nacht aus:
TIPP: Für die bestmögliche Darstellung am
– Handy: Displayhelligkeit herunterdimmen, Raum abdunkeln
– PC Monitor: Helligkeit/Kontrast Kalibrierung (vgl. Graukeil), Raum abdunkeln
Hicksongruppe 68
Die zweite Hälfte meiner Beobachtungsnacht wandte ich mich der ausgesuchten Gruppe HCG68 zu, die inzwischen schon eine beachtliche Höhe in den Jagdhunden erreicht hat und damit ebenfalls hervorragende Beobachtungsbedingungen bot.
Auch zum Aufsuchen dieser Galaxiengruppe bietet der Stropek Deep Sky Beobachteratlas sehr hilfreiches Kartenmaterial (Karte 18). Beim Schwenken in Richtung Jagdhunde habe ich zudem noch einen kurzen „Halt“ bei M63, der Sonnenblumengalaxie gemacht.
Übersicht der Komponenten von HCG68:
Komponente „a“ – NGC5353 (11,1 mag), Entfernung ca. 107 Mio. Lichtjahre
Komponente „b“ – NGC5354 (11,5 mag), Entfernung ca. 119 Mio. Lichtjhcgahre
Komponente „c“ – NGC5350 (11,6 mag), Entfernung ca. 107 Mio. Lichtjahre
Komponente „d“ – NGC5355 (13,0 mag), Entfernung ca. 108 Mio. Lichtjahre
Komponente „e“ – NGC5358 (13,7 mag), Entfernung ca. 111 Mio. Lichtjahre
Link: https://www.deepsky-visuell.de/Projekte/HCG67_100.htm#Hickson_68
Am Ziel angekommen, bietet sich im 10mm Televue Ethos Okular ein recht spektakulärer Anblick!
Der mit 6,45 mag auffällig helle und gelblich leuchtende Stern „HIP 67778“ dominiert recht stark das Gesichtsfeld und stört bereits ein wenig die Beobachtung der schwächeren Komponenten. Knapp darunter befindet sich ein deutlich kühler leuchtender Stern („HIP 67752″) und bildet einen hübschen Kontrast. Glücklicherweise liegen die beiden lichtschwächsten Galaxien der Gruppe auch weiter vom hellen Stern weg, so dass man diesen mit geschickter Positionierung bedarfsweise zumindest an den Rand des Gesichtsfelds befördern kann. Mit 14,5“ sind alle fünf Komponenten der Gruppe unter brauchbaren Bedingungen relativ leicht sichtbar. Die hellsten beiden Objekte bilden die Galaxien NGC5353 und NGC5454, die zusammen ein wechselwirkendes Paar darstellen. Tatsächlich erscheinen die beiden Komponenten auch im Teleskop beinahe zusammen verschmolzen. Der Anblick ihrer leicht länglichen, topfenähnlicher Formen erinnerte mich an geöffnete Muschelhälften. In leichtem Abstand daneben steht NGC5350 – die mit Abstand größte Galaxie dieser Gruppe. Sie erscheint auf den ersten Blick deutlich runder und bei genauerem, indirektem Hinsehen auch leicht strukturiert. Zeitweise meinte ich, einen sehr zarten, schalenartigen Umriss zu erkennen oder so etwas wie ein Zentrum. Für eine eindeutig erkannte Spiralrichtung oder klar umrissenen Kern reichte es aber leider nicht. Tatsächlich handelt es sich bei NGC5350 um eine sogenannte „Seyertgalaxie“, eine Balkenspirale mit sehr aktivem Kern…
Für die beiden schwächeren Komponenten der Gruppe, NGC5355 und etwas abseits liegende NGC5358 braucht es ein wenig mehr Geduld. Aber mit ausreichender Dunkeladaption und indirektem Sehen erkennt man auch hier, zumindest bei NGC5358 eine klare Orientierung bzw. langgezogene Form.
Ingesamt betrachtet für mich die schönste Hicksongruppe, die ich bis jetzt am 14,5″ Dobson beobachten konnte – sehr zu empfehlen.
Nachfolgende Zeichnung konnte ich anfertigen:
Unter folgenden Link gibt es noch zwei weitere Zeichnungen dieser Gruppe mit 4 und 16 Zoll Öffnung, die schön zeigen, was unter noch besseren Beobachtungsbedingungen (6,5mag+ Himmel) visuell möglich ist:
https://www.deepsky-visuell.de/Zeichnungen/HCG68_4.htm
https://www.deepsky-visuell.de/Zeichnungen/HCG68.htm
Grenzgrößenschätzung am Großen Wagen
Abschließend in dieser Nacht versuchte ich mich noch an einer visuellen Grenzgrößenschätzung im Bereich vom Großen Wagen. Ursa Major steht zur dieser Jahreszeit sehr zenitnah und bietet sich daher bestens für die Schätzung nach folgender „Zähldreieck“-Methode der VdS Fachgruppe Meteore an, siehe Link:
https://www.meteoros.de/fileadmin/user_upload/meteore/other/visuelle_meteorbeobachtung_2007.pdf
Auf Seite 16 dieses PDFs findet sich in der Karte „Feld 3“ das eingezeichnete Zähldreieck, das an den Kasten des Großen Wagens angrenzt.
Bei der visuellen Grenzgrößenschätzung in diesem Fall geht es nun darum, die Sterne innerhalb dieses Zähldreiecks zu zählen, die gerade noch mit bloßem Auge wahrgenommen werden können.
Das Ergebnis meiner Beobachtung an diesem Abend waren 8 Sterne, die mit freiem Auge sichtbar waren. Der schwächste, ein 6,15mag Stern, war jedoch nur indirekt wahrnehmbar.
Damit beendete ich diese Beobachtungsnacht fast pünktlich zu Mitternacht, auch wenn die Nacht sicherlich noch viel mehr hergegeben hätte!
Ich wünsche viel Erfolg beim (Nach-)Beobachten und klaren Himmel,
Peter Maier